Ich möchte Ihnen die Episode ?Franziskus begegnet dem Sultan? vorstellen. Da diese Episode aus dem Leben des Franziskus uns in den franziskanischen Quellen in einer sehr von Legende geprägten Art überliefert wird, ist zunächst ein Blick auf den geschichtlichen Hintergrund hilfreich.
Die muslimischen Eroberungszüge hatten Ende des 12. Jahrhunderts von den christlichen Königreichen im Nahen Osten nur ein paar Küstenstädte übrig gelassen.[1] Um das Heilige Land zurückzugewinnen, landete im Mai 1218 das Heer der Kreuzfahrer bei Damiette in Ägypten.[2] Damiette war als Tor zum Nil strategisch wichtig. Die Einnahme der Flussbefestigung gegenüber der Stadt gelang dem Kreuzfahrerheer im August 1218, es folgte eine lange Belagerung der Stadt. Im September 1219 unterbreitete Sultan el-Kamil den Christen ein Friedensangebot. Er bot den Kreuzfahrern die Rückgabe ganz Palästinas sowie einen 30jährigen Waffenstillstand. Doch der päpstliche Legat Pelagius lehnte jede Verhandlung mit den Ungläubigen ab, und die Kämpfe flammten wieder auf.[3]
Im November 1219 nahmen die Kreuzfahrer die Stadt Damiette ein und richteten unter den Bewohntern ein unglaubliches Blutbad an, doch strategische Fehler im weiteren Vorgehen führten ein Jahr später dazu, dass die Heere umzingelt wurden und man zur eigenen Rettung die Rückgabe Damiettes anbieten musste. Dieser 5. Kreuzzug hatte 100000 Opfer gekostet und war insgesamt so erfolglos, dass er in den meisten Zählungen nicht einmal aufgeführt oder zum nachfolgenden Kreuzzug dazugezählt wird.
In diesen weltgeschichtlichen Ereignissen ist die Anwesenheit von Franziskus nur eine Anekdote am Rande, wobei sie aber historisch belegt ist. Franziskus war im August 1219 bei Damiette angekommen. Die Begegnung mit dem Sultan fand Ende September statt, vermutlich in der Verhandlungspause nach Einnahme der Festung und vor Einnahme der Stadt. Es wird berichtet, dass Franziskus auf die Brutalität der Kreuzfahrer gegenüber der Bevölkerung mit großem Entsetzen reagiert hat.
Die Reise nach Syrien und Ägypten war schon der dritte Versuch des heiligen Franziskus, zu den ?Sarazenen? zu gehen und ihnen das Evangelium zu verkünden. In den Jahren zuvor hatte er wegen Schiffbruch oder Krankheit sein Vorhaben jedesmal abbrechen müssen.
Bonaventura[4] schreibt, dass die Liebe Franziskus dazu drängt, zu den Ungläubigen zu gehen und dort durch Hingabe seines Lebens den Glauben an den dreifaltigen Gott auszubreiten. Er zieht nach Syrien, um zum ?Sultan von Babylon? zu gelangen. (Die Ortsangabe ist wohl symbolisch zu verstehen, Babylon ist ein biblisches Bild für die Gegenmacht zum Gottesvolk.). Franziskus wird bei Kardinal Pelagius vorstellig und betet, bevor er weitere Schritte unternimmt. In Begleitung von Bruder Illuminatus (andere Quellen sprechen von Bruder Petrus Catanii) macht er sich dann auf den Weg. Sie stoßen auf sarazenische Soldaten, die sich auf sie stürzen. Dann werden sie schwer misshandelt und schließlich doch vor den Sultan gebracht. Bonaventura führt dies auf die Vorsehung Gottes zurück.
Franziskus predigt dem Sultan unerschrocken das wahre Evangelium, mit Geisteskraft und Begeisterung. Der Sultan sieht die wunderbare Glut und Kraft des Geistes bei dem Gottesmann und bittet ihn, einige Zeit bei ihm zu bleiben. Franziskus erbittet sich eine Feuerprobe: Er will zur Bekräftigung seiner Worte ins Feuer gehen. Der Sultan lehnt dies jedoch ab und bietet Franziskus Geschenke an, die dieser jedoch ?wie Kot verachtete?.
Nicht einmal als Spende für die Armen oder die Kirche nimmt er Geld an. Dies wiederum beeindruckt den Sultan sehr. Als Franziskus aber erkennt, dass er weder eine Bekehrung der Sarazenen noch das Martyrium erlangen kann, kehrt er nach Italien zurück.
Diese Begegnung zeigt uns an Franziskus einige bemerkenswerte Eigenschaften und Haltungen, die für seine Zeit ebenso bewundernswert waren, wie sie es auch für uns sind.
1. Das persönliche Sich-Einlassen als Bote Gottes:
Franziskus überließ es keinem Medium, das Evangelium zu verkünden, sondern er ließ sich selbst mit seiner ganzen Person darauf ein. Gegen das Aufeinanderprallen von Heerführern, die nur den eigenen Interessen dienten, setzte er das Gespräch von Mensch zu Mensch. So konnte er Vorurteile auf beiden Seiten abbauen und echte Begegnung ermöglichen.
Franziskus handelte dabei bewusst im Auftrag Gottes. Er stand nicht unter Erfolgsdruck, weil er nicht für sich selbst handelte, sondern er stand stellvertretend für seinen Herrn vor dem Sultan.
2. Der Respekt vor der Würde des Andersdenkenden:
Franziskus sah in den Muslimen keine seelenlosen Bestien, sondern Menschen mit für sie gültigen Ansichten und einem Recht auf Leben. Muslime waren für ihn nicht Ungläubige, sondern Andersgläubige. Seine Absicht war, ihnen eine Alternative anzubieten, in der Meinung, dass sie sich vom Evangelium selbst überzeugen lassen würden, wenn Gott es so wollte. Er war aber geleitet vom Respekt vor dem, was den anderen heilig war.
3. Die Lauterkeit der Absichten:
Franziskus waren diplomatische Winkelzüge fremd. Er ging nicht zum Sultan, um strategische Vorteile für die Kreuzfahrer zu erlangen. Sowohl dem Kardinal Pelagius als auch dem Sultan gegenüber redete er ohne Hintergedanken. Seine Motive und Ziele legte er offen vor. Franziskus wollte mit seinem Handeln keinen eigenen Ruhm ernten. Seine Überzeugung, dass Christus für alle Menschen da ist, leitete ihn.
4. Die Kompromisslosigkeit der Verkündigung:
Franziskus wich weder in Worten noch Verhalten von dem Weg ab, den er als richtig erkannt hatte. Er verkündete das Evangelium, ohne sich der Position des Stärkeren anzubiedern. Er zeigte keine Furcht, einen Konflikt offenzulegen oder auf Ablehnung zu stoßen. Seiner Meinung nach musste diese Haltung letztlich dazu führen, dass die Muslime entweder Christen wurden oder ihn als Andersgläubigen töteten. Er nahm dies in Kauf, weil er glaubte, dass er so die Kraft des christlichen Glaubens besser vermitteln konnte, als durch Worte allein.
5. Die Gewaltlosigkeit im Handeln und Sprechen:
Franziskus kam ohne Waffen zum Sultan und ließ sich von seinen Soldaten ohne Gegenwehr schlagen. Es wird von den Chronisten des Kreuzzugs vermerkt, dass Franziskus die Erlaubnis des Kardinals Pelagius, unbewaffnet den Sultan aufzusuchen, erst nach langem Zögern und auf eigene Gefahr erhielt. Franziskus war auch in seinen Worten gewaltlos. Im Gegensatz zu anderen Missionaren seiner Zeit beleidigte Franziskus die Muslime nicht, machte ihre Religion nicht lächerlich und trat ihnen als gleichberechtigter Gesprächspartner gegenüber.
[1] Ulrich Haarmann (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt; darin: Heinz Halm: Die Ayyubiden. 1962
[2] Johannes Lehmann: Die Kreuzfahrer ? Abenteurer Gottes. 1976.
[3] Stephen Runciman: Geschichte der Kreuzzüge. 1957-1960
[4] Bonaventura: Franziskus, Engel des sechsten Siegels. übers. von P. Sophronius Clasen. 1962.