Der Name einer Schule sagt Wesentliches aus über deren Erziehungsziele und Leitprinzipien. Kann eine Schule den Namen des heiligen Franziskus tragen und sich ihn damit zum Vorbild nehmen, ihr Leitbild auf seiner Lebensphilosophie begründen?
Franziskus war ein Aussteiger aus der Gesellschaft. Seine Ablehnung des väterlichen Reichtums, die demonstrative Rückgabe der Kleider an den Vater, der Verzicht auf Geld und Besitz in jeglicher Form ? all das ist eine klare Stellungnahme zu zeitgenössischem frühkapitalistischen Denken: ?Weil ich das nicht für gut halte, mache ich nicht mit.? So würde man eine Gruppe, die sich um Franziskus bildete, den damaligen Orden der Franziskaner, heute sicher als Randgruppe einschätzen.
Kann schulische Bildung und Erziehung aber zum Rand der Gesellschaft führen?
Die sogenannte Reife, die eine Schülerin in der Schulzeit erlangen soll, meint doch eine Integration in die Gesellschaft, Hineinwachsen als soziales Mitglied, das gestaltet und konsumiert, aufbaut und partizipiert, das Entscheidungen entgegennimmt und Verantwortung übernimmt.
Dennoch lohnt es sich, sich mit der Bedeutung von Randgruppen auseinanderzusetzen. Randgruppen sind eine Diagnoseinstanz für das, was in der Gesellschaft schief läuft.
Betrachten wir die franziskanische Idee:
Die Hinwendung des Franziskus zu dem Aussätzigen war einerseits eine Wahrnehmung der Wunde, die in der damaligen Gesellschaft schmerzhaft brannte, die die Menschen in Angst leben ließ. Die Zuwendung des Franziskus war heilende Reaktion. Eine Gesellschaftskritik dagegen war sie nicht.
Die Armutsliebe aber kann als Kritik aufgefasst werden. Wenn sie auch nicht aktiv als Kritik geäußert wurde, so war das Handeln des Franziskus eine klare Absage an den damaligen Zeitgeist.
Franziskus war nicht nur ein Mensch, der das Leid wahrnahm und sich den Leidenden heilend zuwandte. Er war nicht nur einer, der unzweideutig einen einfachen, armen Lebensstil praktizierte und die Reichtümer der Welt ablehnte, weil sie zu Aggressionen und Kampf führen. Mit ihm untrennbar verbunden ist seine Hinwendung zur Frohbotschaft des Evangeliums. Seine Bewegung stand im Zeichen der Freude, nicht der Kasteiung. Im Besonderen schöpfte Franziskus Freude aus der Dankbarkeit für alles Geschaffene, dem er in zärtlicher Geschwisterlichkeit zugetan war.
Die Botschaft dieser eigen-artigen Randgruppe des 13. Jahrhunderts, des Ordens der Franziskaner, ist also mindestens eine dreifache:
Eine gute Welt braucht
- die Fähigkeit, Leid wahrzunehmen und die Möglichkeiten zu dessen Bekämpfung auszuloten,
- die wache Suche nach dem Wert, der in der jeweiligen Situation und in der jeweiligen Sache maßgeblich ist und den kritischen Blick auf die angebotenen Lösungen und Lebensstrategien,
- die Erkenntnis, dass das gottgewollte Leben ein Leben in Freude ist, im Miteinander der gesamten Schöpfung.
Den Christen wird oft vorgeworfen, nicht radikal genug zu sein. Aber sollen sie das alle sein? Das Christentum nährt sich an seinen radikalen Gestalten, die ihre Radikalität in den Dienst aller stellen, ohne die gleiche Radikalität von allen zu fordern. Franziskus wollte Christus nachahmen. Er suchte für sich keine Nachahmer, sie kamen ohne, ja sogar gegen seinen Willen. Gegen seinen Willen, weil er wusste, dass sein Lebensstil in der Breite gar nicht verwirklichbar ist.
Ich komme zur Schule zurück:
Aufgabe der Erziehung und damit auch der Schule ist es, die Schülerin zu einem möglichst konstruktiven Mitglied der Gesellschaft werden zu lassen und ihr dabei zu helfen, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Und es ist unstrittig, dass jeder Mensch umso konstruktiver sein kann, je besser er in der Lage ist, seine eigenen Begabungen auszuschöpfen und die Erkenntnisse der Menschheit in seine Persönlichkeit zu integrieren.
Noch einmal also die Frage: Kann solch ein ?Eigenbrötler? wie Franziskus richtungweisend für eine Schule sein?
Als Physikerin würde ich jetzt sagen, Franziskus ist eine Singularität, durch die hindurch der Blick in ein anderes Universum, in eine gute Welt, möglich ist.
Als Schulleiterin sage ich, er kann uns ein Ideal vor Augen stellen, das anzustreben sich lohnt, wenn auch nur in einzelnen Details oder in reduzierenden Konkretisierungen.
Unabdingbar für das pädagogische Profil einer Schule, die den Namen des Franziskus trägt, sind auf jeden Fall folgende Werte:
- Ehrfurcht vor der Schöpfung
- Gerechtigkeit
- Mitmenschlichkeit
- Dialogbereitschaft
- Aktive und passive Kritikfähigkeit
- Fähigkeit zur Freude, die sich nicht zuerst aus dem Konsum nährt.
Gut, dass unsere Schule diesen Namen trägt, gut, dass vor 100 Jahren die Dillinger Franziskanerinnen den Mut hatten, diesen Beginn zu wagen, gut, dass durch die vielen Tiefen hindurch die Schule zu dem geworden ist, was sie ist. So ist sie uns eine Aufgabe.